Ein Plädoyer für die Arbeit an der Hand

 

Ich bin Reiterin mit Leib und Seele. Nein, das stimmt so nicht. Ich bin Pferdeausbilderin mit Leib und Seele.

 

Was der Unterschied ist? Ich bin der festen Überzeugung, dass der Kanal der Informationsübertragung im Sattel nicht immer der Beste ist. Manchmal schon, aber oft auch nicht. Warum nicht? Weil ich nicht entscheiden kann, wie mein Pferd am effizientesten lernt. Mein Job ist es, herauszufinden, wie ich meinem Pferd den Weg weisen kann. Den Weg zum Verstehen, den Weg zum Erfühlen, den Weg zum Begreifen. Ich will entblocken, loslassen lehren, meinem Pferd beim Wachsen zusehen. Und das nicht nur aus der Perspektive vom Pferderücken aus.

 

Ausbildung heißt für mich, einen Zusammenschluss, einen Kreislauf von Handarbeit, Arbeit an den langen Leinen und Arbeit unter dem Sattel zu kreieren. Der Verteilungsprozentsatz passt sich ständig an. Es kann durchaus vorkommen, dass ich auch bereits gerittene Pferde eine gewisse Zeit lang nicht unter dem Sattel arbeite. Nämlich dann, wenn sie eine "chronische" Stressbelastung unter dem Reiter erfahren haben. Wenn sie andauernd über ihre Grenze gearbeitet wurden und vielleicht gar nicht wissen, dass sich reiten auch gut anfühlen kann, dass man sich dem Reiter anvertrauen kann, dass man seine Lösungen selbst suchen darf und dabei unterstützt wird.

 

Was viele vielleicht nicht nachvollziehen können, ist, dass ich das Pferd nicht ständig korrigiere. Ich leite es an, aber ich zeige nicht ständig die Fehler auf. Viel mehr Interesse habe ich an der Art, wie das Pferd an seine Probleme heran geht. Wie es versucht, Unsicherheiten oder Gleichgewichtsschwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Jedes Pferd hat seine Kompetenzen, die es für sich selbst einsetzt. Mich schreckt keine Halsposition, kein noch so seltsamer Beinsalat oder die ärgste Windschiefe. Ich schau mir alles an. Und ich sehe viele Lösungen, die das Pferd von sich aus anleitet. Mein Job ist oft nur, es zu begleiten, damit aus dem was es tut auch ein kleines Pflänzchen keimen kann, das in die richtige Richtung wächst.

 

Und gerade mit dem Begleiten haben viele Reiter Probleme. Oft merke ich, dass auch der entsprechende Erfahrungsschatz fehlt. Wie soll man auch glauben können, dass man dem Pferd einfach mal zuhören kann, ohne dass man seine Kompetenz als Reiter verliert. Überhaupt, wenn man gelernt hat, man müsse "der Chef" im Sattel sein. Und ich verstehe es und appeliere an das Mitgefühl. Wie würde ich lernen wollen, wäre ich ein Pferd?

 

Stopp! Ohne Konsequenz geht es nicht. Also, falls du jetzt gedacht hast, alles würde sich von selbst erledigen, irrst du leider. Dieser Weg hier funktioniert, wenn du kontinuierlich an dir selbst arbeitest, dich, deine Postion, das was du tust immer wieder in Frage stellst und offen bist für die Kritik des jeweiligen Pferdes. Es ist Feintuning, Achtsamkeit, harte Arbeit, Fingerspitzengefühl. Und manchmal habe ich Samthandschuhe an, manchmal muss ich meine Meinung laut kund tun. Eine Herausforderung, ein ständiges Wachstum.

 

Was kann ich denn tun, wenn ich mit dem ganzen Handarbeitskram anfangen möchte? Welche Führpostion soll ich wählen, wie gehe ich, wie stehe ich, wie atme ich, wie tue ich was? Handarbeit ist wie die Arbeit unter dem Sattel. Das Lernen hört einfach nie auf und es kann immer noch besser werden! Oder weicher, kraftvoller, ausdrucksstärker, losgelassener. Das Wichtigste was du tun kannst ist Fühlen. Agieren, reagieren, fühlen. Zeit lassen.

 

Fang doch mal an, dich zu spüren, wenn du neben deinem Pferd gehst. Wie fühlst du dich an, spürst du den Boden unter deinen Füßen? Wie fühlt sich deine Atmung an, wie ist deine Bewegung heute? Ist sie fließend, fühlst du dich schwer oder leicht an? Hakt eine deiner Hüften, blockiert irgendetwas deine weiche Bewegung? Während du bei dir bist und dein Pferd mit dir ist, was tut sich plötzlich? Wie verändert sich deine Bewegung, wie verändert sich die Bewegung deines Pferdes.

 

Leg eine Hand auf den Hals deines Pferdes. In der Stille oder in der Bewegung. Will es gehen, lass es gehen. Will es stehen, lass es stehen. Streiche den Hals in Zeitlupe ab. Wenn du eine Disharmonie, eine Blockade, eine Festigkeit in einem Muskel spürst, bleib mit deiner Hand dort. Lass deine Handfläche dort liegen. Weich oder mit mehr Präsenz. Hör auf dein Pferd, es wird dir zu verstehen geben, was es gern möchte. Fühle, lass dein Pferd sich entwickeln und staune, was Achtsamkeit allein zu ändern vermag. Diese taktile Arbeit hat sehr viele Facetten, eine Schatzkiste voll mit Erfahrungen des Körpers und der Seele.

 

Wer sich mit dem nicht aufhalten möchte, der möge zu einem anderen Lehrer gehen. Diese Zeit, die du dir hier nimmst, gibt dir das Pferd tausendfach zurück. Vielleicht ein paar Minuten später mit einer wundervollen Piaffe, vielleicht mit dem schon so lang erhofften Abschnauben, weil sich das Pferd meist festhält und klemmt. Wie auch immer, es ist in jedem Fall gewonnene Zeit. Zeit, die man in jemanden investiert, nicht nur in das was er tut soll.

 

Der Kreislauf der Arbeit setzt sich fort. Individuell. Alles wird immer anspruchsvoller, an der Hand, an den langen Leinen, unter dem Sattel. Aber eines ändert sich nie: das Abschnauben in allen Gangarten. Mein 18jähriger Wallach schnaubt auch wunderbar in der Piaffe ab. Es ist seine Aufwärmlektion, danach ist er richtig einsatzbereit, sie ist das Werkzeug, dass ihn leistungsfähig hält. So manches Pferd braucht zuerst das Gefühl, angenommen zu werden, bevor das Abschnauben in Gang gesetzt werden kann. Das berühmte "Lösen" findet sehr oft im Kopf statt, dann kann es auch im Körper einzug halten.

 

An der Hand kann ich besser sehen lernen, Veränderungen wahrnehmen, Spiegeln und ein Spiegelbild anbieten. Ich kann durch meinen ganzen Körper fühlen, egal wie lang die Leinen zwischen mir und dem Pferd sind (manchmal sind gar keinen Leinen da). Ich kann reiten, während ich neben dem Pferd her gehe. Ich kann leiten, etwas aushalten, viel geschehen lassen und mich über noch mehr freuen.

 

Die kleinen Dinge beginnen schnell zu wirken. Wer sich angenommen fühlt, wird sich öffnen. Manchmal ist das was kommt aber nicht das, was man sich erhofft. Offenheit begleitet meinen Weg mit Pferden und für den, der mitgehen mag bin ich sehr gerne Dolmetscher, Weichensteller, offenes Ohr, offenes Herz.

 

Erzählt mir von euren Erfahrungen mit der oben beschriebenen taktilen Übung. Welche Geschenke habt ihr dadurch erhalten? Ein Tor kann sich damit öffnen, wenn es authentisch ist. Ich freue mich über dein Kommentar hier unter dem Beitrag.

 

Alles Liebe und viel Freude beim Ausprobieren,

Sandra

 

PS: Mehr Beiträge zu Themen die Handarbeit betreffend werden folgen!

 

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