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Das Problem ist selten das Problem. Oder: wie man ein besserer "Zwischen-den-Zeilen-Leser" wird.

 

 

Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele ist nicht nur bei Menschen für die Lebensbalance zuständig. Wenn das innere (und äußere) Gleichgewicht nicht gegeben ist, tun sich meist Schwierigkeiten auf. Die einen leiden still, die anderen schreien laut. Wenn ein Pferd seinen Unwillen kundtut, so dass der Reiter oder Besitzer damit direkt konfrontiert wird, beginnt häufig mein Job.

 

Nicht nur dann, aber oft, werde ich von Menschen kontaktiert, die sich nicht mehr zu helfen wissen. Sie haben meist schon mehrere Trainer konsultiert, aber der Erfolg blieb aus, ja oft wurde es sogar noch schlimmer. Diese Pferde gelten als bockig, unreitbar oder völlig unrittig, als motivationslos, faul und sogar manchmal als dumm.

 

Nicht selten lassen diese Pferde auch niemanden mehr an sich heran. In erster Linie meine ich das gar nicht auf körperlicher Ebene, denn führen und putzen machen meinst keine Schwierigkeiten. Es ist eher ein sich abschotten, sich nicht berühren lassen wollen, sich nicht anvertrauen können. Es ist wohl oft die Summe aus Momenten, in denen nicht auf das Wohl dieses Pferdes geachtet wurde, in denen nicht aufgehört wurde, obwohl das Pferd schon deutlich signalisiert hat, dass es nicht kann. Warum auch immer. Wenn Menschen mit ihren großen Egos auf Pferden sitzen, ist das in der Regel für die Pferde nicht so prickelnd. Mehr Einfühlungsvermögen wäre gefragt.

 

Ebenfalls hinterlässt die husch-pfusch Grundausbildung oft ihre Spuren oder sogar Narben. In einer Welt, die von Geld regiert wird und in der man keine Zeit hat, wird davon ausgegangen, dass zwei oder drei Monate wohl genug sind für eine Grundausbildung, in der man möglichst viel unterbringen möchte. Was meist nicht hinterfragt wird, ist, ob dieses Pferd schon bereit ist. Vom Körper jetzt mal ganz abgesehen, der, wie wir alle wissen, länger zum Reifen braucht als drei oder vier Jahre. Der seelische Verschleiss ist ein Thema, mit dem ich öfter konfrontiert bin. Der Körper passt sich nur an, ist aber in den meisten Fällen nicht das ausschlaggebende Problem.

 

Diese Zustände beim Pferd führen in Folge oft zu Schwierigkeiten in der Rittigkeit oder Kooperation:

 

- seelische Themen (auch, aber nicht nur, die Haltung oder die Ausbildungsweise betreffend)

- fasziale Verklebungen und Muskelverspannungen

- Berührungsempfindlichkeit (auch vermeintlich "triebige" Pferde betrifft das!!!)

- Magenprobleme aller Art

- Zwerchfellverspannungen

- Gelenksblockaden

- ein Reiter, der nicht gut oder einfühlsam genug für dieses Pferd ist

und, und, und...

 

Abgesehen von einem oft unpassenden Equipment ist auch ein unpassender Umgang mit dem Individuum Pferd ein Problem - oder wird zu einem. Alles was unbewusst mitschwingt, wenn Sie mit Ihrem Pferd Zeit verbringen, ist für das Pferd wichtig. Ob Sie es wertschätzen oder mit ihm in abschätzigem Vokabular sprechen, all das wird immer Spuren hinterlassen. Für das Pferd ist das Gefühl wichtig, das es in menschlicher Gegenwart hat. Physisch und psychisch. Wer sich angenommen und verstanden fühlt, wird auch eher kooperativ sein und im besten Fall sogar deutlich über sich hinaus wachsen. Wer spürt, dass sich sein Gegenüber wirklich für seine Befindlichkeit interessiert, vertraut sich schneller an.

 

Diese "problematischen" Pferde haben alle etwas gemeinsam: sie werden nicht gehört und nicht gefühlt. Pferde teilen sich mit, sie versorgen uns immer mit vielen Informationen rund um ihr Wohlbefinden. Wie sie aussehen, wie sie sich verhalten, wie sie im Umgang sind und letztlich natürlich auch, wie sie sich unter dem Reiter geben. Viele Puzzleteile ergeben ein Bild. Das Pferd ist es nicht, dass nicht will, nicht mag, nicht tut. In der Regel gibt es Gründe für dieses Verhalten. Nicht immer kann man die Ursache erforschen, aber man kann immer dementsprechend handeln und sich kompetente Hilfe holen. Und: nur weil sich das Pferd noch nicht wehrt, sind viele Dinge die unbedacht gemacht werden, trotzdem nicht in Ordnung!

 

Wer meint, Pferde "korrigieren" zu müssen, hat meiner Meinung nach noch nichts verstanden. Vielmehr geht es darum, das Wesen dieses Pferdes zu erfassen und dementsprechend zu handeln. Räume öffnen, Grenzen setzen, gewisse Freiheiten einräumen. Immer jedoch gehört "Druck" reguliert. Druck, im negativen Sinn, macht Unbehagen. Unbehagen macht Probleme. Was zuviel ist, entscheidet das Pferd. Wir haben uns nicht anzumaßen, dies in Frage zu stellen. Das Pferd setzt Rahmenbedingungen mit denen ich arbeiten kann und die ich dann Stück für Stück modelliere und erweitere. Die Höflichkeit in allen Dingen ist es, die Pferde manchmal nicht gewohnt sind. Sie sind es nicht gewohnt, zu geben, weil die Menschen dazu neigen, sich alles immer zu nehmen, bevor sie das Pferd darum bitten. Was ich zu geben bereit bin, fordere ich auch ein. Höflichkeit gehört bedingungslos dazu. Pferde ändern sich schnell, beim Menschen ist dann die Konsequenz gefragt.

 

Ein Pferd hat ebenso Bedürfnisse und Präferenzen. Die einen muss man wild sein lassen, die anderen wären lieber ein kleines Kätzchen geworden und brauchen sehr viel Nähe. Je nach charakterlichen Eigenarten muss der Umgang angepasst werden. Dafür braucht man natürlich Erfahrung, oder zumindest jemanden an seiner Seite, der diese hat. Aber Achtung: wer niemals einen wertschätzenden Umgang erfahren hat, der wird ihn auch nicht weitergeben können. Der Erfahrungsschatz macht den Unterschied, egal ob zwei oder vier Beine. Muster kann man aber auch durchbrechen. Anfangen muss jeder Reiter, Pferdebesitzer, Pferdemensch bei sich selbst.

 

Meine Aufgabe als dolmetschender Trainer ist es, zu erkennen, wie ich das Pferd wachsen lassen kann. Wie es selbstsicher, mutig, in sich ruhender, stark oder weicher werden kann. Und wie ich dem Menschen daneben ein gutes Rüstzeug, Erfahrung und Einfühlungsvermögen an die Hand geben kann, damit er für sein Pferd der erste Ansprechpartner in allen Belangen wird. Körper, Geist und Seele gehören immer zusammen. Wenn ein Part leidet, ziehen die anderen mit. Ein Pferd, das fundiert und wertschätzend in seinem Tempo und mit individuellen Prioritäten gearbeitet wird, wird nicht nur ein besseres Reitpferd. Es wird ein verlässlicher Partner, es wird in der Herde seinen Platz finden und Kompetenzen erhalten und es wird reifen, zu sich selbst finden und zufriedener sein.

 

Apropos: es zahlt sich aus, nachzuspüren und nicht automatisch den Sattel raufzuknallen, obwohl das Pferd vielleicht schon beim Putzen sehr empfindlich im Rücken ist.

 

Hinter den Kulissen wird´s interessant. Lassen Sie sich nicht blenden. Lernen Sie, Ihrem Gefühl zu vertrauen. Wenn´s schwierig wird, können Sie etwas lernen - sehen Sie´s positiv!

 

Sandra Polzer

www.bodymindreflection.com

www.lehrmeister-pferd.at

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